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Stefan

Die Schwammstadt – ein Kreislauf, der Vorteile schafft

Städtebau und Raumentwicklung sind sich stetig wandelnde und weiterentwickelnde Disziplinen. In Anbetracht des sich verändernden Klimas und der zunehmenden Erwärmung in Innenstädten und stark besiedelten Gebieten, müssen neue Konzepte eine nachhaltige Lösung dem entgegenwirken. OstSinn sprach über das Konzept der “Schwammstadt” mit Marco Sonderegger, Unternehmensleiter der Entsorgung St.Gallen.

Was muss man unter dem Begriff “Sponge City” oder “Schwammstadt” verstehen?

Der Name selbst sagt bereits einiges aus. Die Idee der Schwammstadt ist die Aufbewahrung des Wassers und die Nutzung des Wasserkreislaufs. Vereinfacht gesagt, wird an Ort und Stelle etwas geschaffen, das Wasser zurückhält. Wo bauliche Massnahmen bisher das Ziel verfolgten, Wasser abzuleiten, wird somit ein konträrer Ansatz verfolgt. Der Wasserkreislauf soll lokal geschlossen werden.

Welche Vorteile kann das bringen: Bei der Erwärmung von urbanen Gebieten (Hitzeinseln genannt), wird ein Kühleffekt hergestellt. Denn Extremereignisse, wie Hitze und Starkregen nehmen zu und mit dem Konzept der Schwammstadt können solche Ereignisse ausgeglichen werden.

In der Schweiz leben wir ja im Wasserschloss Europas. Benötigen wir denn überhaupt die zusätzliche Aufbewahrung von Wasser?

Primär geht es nicht um die Wasserknappheit, welche bekämpft werden soll, sondern die Versiegelung. Mit Versiegelung meine ich den Asphalt, den Beton welcher eine geschlossene Oberfläche darstellt und dem Wasser lediglich eine Abflussmöglichkeit bietet. Entgegen der alten Bauweise, sollen Versickerungszonen geschaffen werden. Durch diese porösen Böden (Anm. durchlässige Oberflächen) kann Wasser angenommen und zurückgegeben werden. Wird das Wasser gespeichert, kann es direkt vor Ort für die Begrünung, für Bäume, diverse Pflanzen und Brunnen verwendet werden. Diese, so wissen wir, schaffen einen kühlenden Effekt in ihrer lokalen Umgebung. Zusätzlich erhalten die Pflanzen eine bessere Chance im versiegelten Raum zu gedeihen und es bedarf keiner Tränkung, bei welcher auf Trinkwasser zurückgegriffen werden muss. Sie sehen, es entsteht ein Kreislauf, der für Mensch und Natur in der urbanen Umgebung einen Vorteil schafft.

Wie könnte ein solches Konzept in der Stadt St.Gallen aussehen?

Aktuell sind wir in der Stadt St.Gallen mit dem Marktplatz beschäftigt. Unter diesem soll ein Sammelbecken entstehen, welches Wasser zwischenspeichert. Dadurch können die Pflanzen vor Ort direkt getränkt werden. Ein weiteres Projekt ist der unterste Kinosaal des ehemaligen Kino Rex, welcher als Regenbecken umgenutzt werden soll, anstatt einfach zugeschüttet werden.

Ein älteres Projekt, welches nicht direkt mit der Schwammstadt, doch mehr mit der Umnutzung von Flächen und Renaturierung zu tun hat, ist das Dach der Anlieferhalle des Kehrichtheizkraftwerks. Dort entstand eine Ökofläche im Einklang von Magerwiese und einem urbanen Rebberg . Von Dach- und Fassadenbegrünung profitieren wir alle langfristig, was das lokale Klima betrifft und durch das Konzept der Schwammstadt, können solche Vorhaben zusätzlich gefördert und gesichert werden.

Welchen Veränderungen wird das auf das Stadtklima haben?

Die Temperaturen sind über die letzten Jahrzehnte nachweislich angestiegen – dieser Trend wird fortgesetzt. Die Extremereignisse der letzten Jahre zeigen auf, welchen Herausforderungen wir bevorstehen. Starkregen führt zum Überlaufen der Schächte, weil das Abwassersystem irgendwann überfordert ist. Im Sommer herrscht eine teilweise kaum ertragbare Hitze in den Gassen. Massnahmen auf wasserkreislaufbasierten Konzepten können genau solchen Situationen entgegenwirken.

Ein konkretes Beispiel für das bildliche Verständnis: Sie spazieren in Romanshorn am See entlang. Die drückende Hitze wird an diesem Tag nicht von einem leichten Wind vom See her unterbrochen. Sie kommen nun am Asco („Pusteblumen“) Brunnen vorbei und stellen fest, wie der erzeugte Wasserstaub die direkte Umgebung sofort abkühlt.

Die Schwammstadt kann sich genau diese Verdunstung zunutze machen. Werden Zonen geschaffen, die offene Wasserflächen, Bäume und weitere Begrünung nutzen, geben diese Feuchtigkeit ab, was lokal zu einem angenehmeren Klima führt. Konkret kann man es nicht direkt in Zahlen fassen. Ich kann also nicht sagen, dass wir eine durchschnittliche Abkühlung von 2 Grad Celsius im Sommer herbeiführen können.  Sondern die Sponge City muss in Symbiose mit weiteren Massnahmen umgesetzt werden. Dafür braucht es den Willen und die Bereitschaft von Bauherren und Bevölkerung.

Die Stadt St.Gallen hat dafür extra einen Schwammstadt-Fonds eingerichtet. Davon können Bauherren profitieren, wenn in solche Massnahmen investiert wird. Es braucht Anreize und das Thema selbst benötigt auch noch weitere Aufklärung. Weshalb wir von Entsorgung St.Gallen eine Exponatsfläche an der OFFA zu diesem Thema haben. „Schwamm drunter, so wird’s kühler“ heisst die Sonderschau dazu. Die breite Bevölkerung, wie auch die Bauwirtschaft soll mehr zu diesem Thema sensibilisiert und informiert werden. Denn Vorteile bringt es für alle – das lokale Klima und die Natur dankt uns dafür.

Nochmals zur Umsetzung. Gibt es in der Schweiz bereits vergleichbare Projekte? Oder würde St.Gallen zum Vorreiter diesbezüglich?

Es gibt in der Schweiz bereits diverse Projekte in diesem Bereich. St.Gallen ist jedoch früh dabei – wobei man Anmerken muss, dass das Konzept der Schwammstadt keineswegs eine Schweizer Erfindung ist. Die Idee selbst besteht länger, doch kommen die ersten umgesetzten Projekte erst langsam. In der Stadt St.Gallen bspw. gibt es den Naturweiher im Zentrum von St. Gallen mit einem Versickerungsbecken. Hier wurde der Rasen durch ein Biotop ersetzt. Mit weiteren baulichen Massnahmen (wie einer unterirdischen Versickerungsgrube) ermöglicht das Biotop heute während Starkregen die Funktion eines natürlichen Retentionsbeckens zu übernehmen.

Weitere Projekte sind beim SVKI (Schweizerischer Verband Kommunale Infrastruktur) zu entnehmen. Dafür kann diesem Link gefolgt werden. Pioniere sind wir in St.Gallen sicherlich mit dem eben erst geschaffenen „Schwammstadt-Fonds“.

Wenn ich nun etwas skeptisch gegenüber dem Konzept bin, könnte ich dann nicht einfach behaupten, dass Fahrverbotszonen und mehr Grünflächen innerhalb der Stadt genauso einen positiven Effekt erzeugen würden?

Fahrverbotszonen allein haben wenig Effekt auf eine Erhitzung innerhalb eines Quartiers. Vielmehr müsste der Asphalt weg und an dessen Stelle Kies oder anderen Untergrund, der eine Versickerung ermöglicht. Verkehr ist aber eine andere Thematik, die nicht direkt im Zusammenhang mit Sponge City oder der Schwammstadt steht. Vielmehr verfolgt Sponge City den Ansatz, den vorhandenen Raum zu nutzen. Es soll der städtische Lebensraum verändert werden. Die Schwammstadt beinhaltet den urbanen Raum, und steigert darin die Lebensqualität für Mensch und Natur.

Unter dem Strich wird es eine Win-Win-Situation. Das ist das Wunderbare am Konzept oder der Idee der Schwammstadt. Politisch wird es weniger kritische Stimmen geben, wenn dann eher im Bereich der Investitionen, den bestehenden Versiegelungen entgegenzuwirken. Man muss sich fragen, bin ich bereit, in die Begrünung und Bewässerung zu investieren? Dabei in vertikale Gärten, also Fassaden oder begrünte Dächer. Denn das Wichtigste ist: Es braucht den Mix aus Massnahmen, welche keinesfalls in Konkurrenz zueinanderstehen.

Abschliessend, was wird ihr wichtigstes Projekt für 2022?

Der Marktplatz wird zum Bauprojekt. Unser Team ist mit der Planung beauftragt, respektive an der Gestaltung beteiligt. Das Vorhaben selbst ist sehr umfangreich und zahlreiche Interessenten melden ihre Ansprüche. Der Untergrund ist bereits stark mit Werkleitungen belegt und gleichzeitig soll das Sammelbecken ebenfalls seinen Platz finden.

Weiter soll der Schwammstadt-Fonds Aufmerksamkeit erhalten, damit dieser genutzt wird und wir weitere – auch private Projekte – umgesetzt sehen.

Solche Projekte sind unser Auftrag und in unserer Kultur arbeiten wir gerne mit diesen Themeninhalten. Wir sind auch immer sehr stolz, wenn wir Projekte wie der urbane Farmingansatz des Anlieferhallendachs – welcher mit freiwilligen Mitarbeitern bewirtschaftet wird – umsetzen können. Unser Ziel ist die Schliessung von Kreisläufen, für mehr Lebensqualität und Nachhaltigkeit in unserem Alltag.

Das Interview führte Luca am 15. März 2022 mit Marco Sonderegger, Unternehmensleiter Entsorgung der Stadt St.Gallen.

Alles über die Entsorgung finden Sie hier.
Weitere Informationen zur Schwammstadt finden Sie beim VSA.