In unserem Blog erfahren Sie aktuelle Themen aus der Welt der Nachhaltigkeit.

Stefan

Für eine enkeltaugliche Welt

 

In diesem Interview habe ich mich getraut, Carmelita Boari (Erwachsenenbildnerin) Fragen zu stellen, welche ich sonst nur an Freundinnen richte. Als Migrantin habe ich erlebt, dass man auf mich hier anders reagiert und einige Unterschiede sind geschlechtsspezifisch. Wo liegen die Grenzen von Akzeptanz gegenüber Kulturen und Menschenrechten? Carmelita Boari gibt nützliche Tipps und Mut zu Veränderung.

 

Seit ich in der Ostschweiz lebe, wurde ich in Jobinterviews gefragt, was mein Mann beruflich macht. Ich bin daran nicht gewöhnt, war sogar schockiert. Kannst Du mir erklären, warum man hier danach gefragt wird?

Und was war die Frage, Entschuldigung? Was dein Mann macht?

Ja. Ich gehe zum Jobinterview und werde häufig gefragt, was mein Mann beruflich macht. In meinem Heimatland Ungarn ist das nicht üblich. Warum fragt man hier danach? Letztendlich gehe ich zum Jobinterview, nicht mein Mann.

Gewisse Leute in unserer Gesellschaft haben den Fokus, dass wir Frauen das Attribut eines Mannes sind. Es zeigt auch, wie das Frauenbild von Menschen ist, welche eine solche Frage stellen. Das finde ich peinlich und überhaupt nicht zeitgemäss.

Was könnte ich machen, damit sich das Frauenbild ändert? Wie sollte ich reagieren, wenn ich wieder einmal solch eine Frage gestellt bekomme?

Wenn ich so etwas gefragt würde, würde ich direkt zurückfragen: “Möchten Sie eine Auskunft über mich oder über meinen Mann bekommen?” Mit einer Gegenfrage möchte ich die Leute zum Denken anregen. Wie einen Spiegel vorhalten.

Das finde ich gut. Vielen Dank für den Tipp. Ich hoffe, dass ich nicht mehr in solch eine Situation komme.

Solchen Leuten sollte man einen Spiegel vorhalten, eine Chance geben damit sie erkennen, was sie gerade gesagt haben.

In den letzten Jahrzehnten hast Du zahlreiche Workshops als Erwachsenenbildnerin durchgeführt. Zum Beispiel in Themen wie Gewaltprävention und Umwelt. Was sind deine Erfahrungen, wenn es um Geschlechtergleichstellung geht?

Es ist eine absolute Notwendigkeit, es müsste sogar in der Oberstufe oder schon in der Mittelstufe ein Pflichtfach werden. Damit es bereits in der Schule thematisiert wird. Geschlechtsspezifische Unterschiede lernen die Kinder von ihren Eltern, die ihre Vorbilder sind, sowohl positive wie negative.

Du bist in verschiedenen Themen sehr engagiert, zum Beispiel warst du in der Kerngruppe von “Anlaufstelle gegen Mädchenbeschneidung Ostschweiz” beim Aufbau dabei. Ich persönlich glaube, dass es in Europa kein Problem ist. Warum ist es trotzdem wichtig?

Man weiss, dass es mehrere Länder gibt, wo es dies praktiziert wird. Diese Leute migrieren und leben hier. Laut UNICEF werden auch in der Schweiz Mädchen beschnitten, es gibt Zahlen und Statistiken.

Das wusste ich gar nicht.

In der Schweiz wird es leider auch praktiziert und es ist eine Straftat. Seit 2012 steht die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe (Art. 124 StGB). Bestraft werden nicht nur Beschneiderinnen und Beschneider, sondern auch die Eltern oder Verwandten, die ein Mädchen beschneiden lassen. Und: Bestraft wird auch, wer die Beschneidung im Ausland durchgeführt oder ermöglicht hat.

Es ist wichtig, dass die Betroffenen und Personen, welche mit ihnen in Kontakt sind, aufgeklärt und informiert sind. Es gibt Eltern, die diese Tradition fortsetzen wollen. Es ist eine grässliche Menschenrechtsverletzung und man muss diese Kinder schützen. Es ist enorm wichtig, dass dieses Thema in der Schweiz und in Europa besprochen wird.   

Es gibt auch Gewohnheiten in unserer Gesellschaft, welche problematisch sind. Zum Beispiel unbezahlte Arbeit. Was ist die Notwendigkeit bei diesem Thema?

Es ist eigentlich eine Schande, dass es in unserer reichen Schweiz so etwas gibt. Wenn ich von solchen Sachen höre, dann kommen mir spontan Menschen zweiter Klasse in den Sinn. Für mich ist es eine Menschenrechtsverletzung und Ausbeutung.

Wenn sich jemand freiwillig und unentgeltlich, aus einem sozialen Engagement engagiert, ist das eine andere Sache. Aber wenn Menschen unterbezahlt oder gar nicht bezahlt sind und es eine Abhängigkeit gibt, empfinde ich es als ein No-Go.

Ich habe auch an Frauen gedacht, welche jemanden pflegen ...

Da ist es schwierig, grundsätzlich eine Meinung zu bilden. Ich kenne solche Situationen, wenn man betagte Eltern nicht ins Altersheim bringen will. Vielleicht pflegt sie jemand zu Hause, was mein grosser Respekt gebührt. Was ich in unserer Kultur manchmal bemängele, dass ältere Personen schneller ins Altersheim abgeschoben werden.

Ich komme aus einer anderen Kultur, mein Vater war Argentinier. Solche Geschichten kennt man dort nicht. Alte Menschen bleiben möglichst lange zu Hause. Es hängt vom jeweiligen Hintergrund Umstand ab. In diesen Ländern sind Angehörige bereit, Pflegearbeit freiwillig zu übernehmen. Das ist anders, als wenn hier Menschen (oft Migrantinnen) dazu benützt werden, um teure Kosten in Institutionen zu sparen.

 

Das sollte unbedingt vermieden werden. Die Ausnützung hängt sehr stark vom Altersbild und Menschenbild ab, und dies führt mich zur letzten Frage. Wie können wir Vorbilder für unsere Kinder und Enkelkinder werden? Wir müssen die Verantwortung übernehmen, damit es eine Änderung gibt. Was kann man jetzt machen?

Jugendliche und Kinder sollen ernst genommen werden. Sätze zu verwenden wie, “Dafür bist du zu klein.” oder, “Du musst warten bis du älter bist.». Das nennt man Adultismus. Es ist Diskriminierung Minderjähriger durch Erwachsene.

Ich denke, im Gespräch können wir noch sehr viel von Jugendlichen lernen und profitieren, die bereits eigene Erfahrungen gemacht haben. Der Austausch mit jungen Menschen ist sehr bereichernd. Sie können uns sagen, was sie sich von uns wünschen, was sie von uns erwarten.

Sie können uns auch sagen, wie wir sie unterstützen können, damit sie eine bessere Zukunft haben. Wir brauchen das Gespräch mit jungen Menschen. Wir sollten auch reflektieren, die Frage stellen, wo habe ich dazu beigetragen, dass die Welt so ist, wie sie ist. Es ist nie zu spät, etwas an unserem Verhalten zu ändern. Durch unser neues Verhalten werden wir Vorbilder sein und von Kindern nachgeahmt. So kann eine Entwicklung, eine positiv Veränderung entstehen.

 

Kata Piroch - OstSinn

 

Foto: Pedro Henrique Santos - unsplash